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Vasektomie noch sicherer als bisher angenommen

Deutsches Ärzteblatt 2023: Vasektomie und Refertilisierung: Wie man(n) sicher verhütet

Die Vasektomie ist in zweifacher Hinsicht sicher – als komplikationsarmer Eingriff und als verlässliche Verhütungsmethode. Eine Beeinträchtigung der Sexualität ist nicht zu befürchten, eher das Gegenteil ist der Fall. Die Durchtrennung der Samenleiter lässt sich außerdem rückgängig machen.

 

Vasektomien sind noch sicherer, als bisher angenommen“ – so lautet der Titel einer Meldung des pro familia Bundesverbandes vom Frühjahr dieses Jahres (1). Sie bezieht sich auf eine aktuelle britische Studie, die auf dem diesjährigen Kongress der European Urological Association (EAU) in Mailand vorgestellt worden ist (2). Insgesamt wurden für diesen Vergleich die Daten von 94 082 Vasektomien aus dem Zeitraum zwischen 2006 und 2021 ausgewertet: Es handelte sich um einen Fragebogen, den viele der angesprochenen Patienten am Tag des Eingriffs (> 80 %) und ein Gutteil noch einmal 4 Monate später (circa 40 %) ausgefüllt haben.

Diese Bestandsaufnahme belegt, dass die Merkblätter zur Beratung über Komplikationen häufig noch auf veralteten Erhebungen beruhen. Ein Beispiel sind chronische Hodenschmerzen, die laut Patienteninformation der British Association of Urological Surgeons (BAUS) mit „bis zu 5 % aller Patienten“ betreffen könne, während aktuellen Daten zufolge diese Rate bei nur 0,2 % liegt. Ähnlich diskrepant sind die Zahlen für den Anteil der mit Antibiotika behandelten Infektionen sowie die Hämatomrate, die laut BAUS-Infoblatt mit je 2–10 % angegeben werden; die aktuelle Evidenz beziffert sie jedoch auf lediglich 1,6 % und 1,9 %.

pro familia teilt diese Botschaft nicht von ungefähr. Zählt doch Deutschland unter den Ländern mit hohem sozioökonomischen Standard zu den absoluten Schlusslichtern, was die Zahl der Vasektomien am Anteil der männlichen Bevölkerung im zeugungsfähigen Alter angeht: Etwa 30 000–50 000 Männer entscheiden sich jährlich hierzulande für den Eingriff (3). Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) beziffert 2018 den Anteil der Männer von 18–49 Jahren, die sich sterilisieren lassen, auf 3 %. Das ist das Ergebnis der regelmäßig wiederholten Repräsentativbefragung von zuletzt 992 sexuell aktiven Frauen und Männern im Alter von 18–49 Jahren zu ihrem Verhütungsverhalten (4). Im Jahr 2011 waren es bei einer ähnlichen Umfrage noch 5 % (5).

Indiz für Gendergerechtigkeit

Global ist ebenfalls ein Rückgang der Vasektomien zu beobachten. In einer Analyse aus weltweit 95 Staaten, die rund 90 % der Weltbevölkerung repräsentieren, ging die Vasektomierate in den letzten beiden Dekaden um 61 % zurück. Viel mehr Frauen verlassen sich auf die eigene Tubektomie – 219 Millionen und somit 8 Millionen mehr Frauen als noch 2001, wohingegen die Zahl der Vasektomien von 27 Millionen auf 17 Millionen zurückgegangen ist (6). Die ist darüber hinaus eine Art gesellschaftlicher Indikator: Die höchsten Vasektomieraten finden sich in Ländern mit der höchsten Gendergerechtigkeit – und vice versa. Am Besten schneidet hier Kanada ab: Dort verlassen sich 22 % der Paare auf die Vasektomie, das Verfahren macht in dem nordamerikanischen Land 31 % an allen Verhütungsmethoden aus (7).

Prof. Dr. med. Tobias Engl berichtet aus seiner Erfahrung von einer eher steigenden Inanspruchnahme. Das, so räumt der Facharzt für Urologie, Androloge und Operateur am Vasektomie Zentrum Frankfurt ein, könne aber daran liegen, dass er als Spezialist, der bis zu 400 Eingriffe pro Jahr vornehme, schlicht vermehrt nachgefragt werde. „Die Motivation der Männer ist dabei in aller Regel in dem Wunsch begründet, für die Verhütung Verantwortung zu übernehmen“, erläutert Engl im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt. Typischerweise seien sie zwischen 35 und 40 Jahren alt, lebten in einer Beziehung und hätten schon 1–3 Kinder. Das deckt sich mit Statistiken zur Vasektomie in Deutschland (8).

Garant für sichere Verhütung

Es gibt viele Verfahren, wobei die Europäischen und Amerikanischen Leitlinien bestimmte Standards setzen (9-11). Der Urologe oder die Urologin – in 90–95 % nehmen niedergelassene Fachärzte den Eingriff vor – wählen als klassische Methode entweder den Hautschnitt oder die sogenannte no-scalpel-Vasektomie, um sich mit oder ohne Hautschnitt Zugang zum Samenleiter zu verschaffen. Dieser wird durchtrennt und ein Stück von 1–2 cm entfernt. Anschließend wird das Lumen des Ductus deferens mit einer Diathermie-Nadel verödet (Fulguration). Am Schluss werden die beiden Enden des Ductus deferens in unterschiedlichen Gewebeschichten positioniert (Abb. 1).

„Wer somit leitliniengerecht vorgeht, ist ganz auf der sicheren Seite“, erläutert Engl, „wenn in der Literatur von Versagern durch ‚Rekanalisierung‘ die Rede ist, so wurde meist nur unterbunden und nicht lege artis getrennt.“ Das macht das Verfahren zu einem zweifach sicheren, sowohl hinsichtlich der geringen Komplikationsraten – siehe EAU – als auch im Hinblick auf die Verlässlichkeit der Verhütung. Der Patient muss allerdings wissen, dass er unmittelbar nach der Vasektomie noch nicht unfruchtbar ist, da sich im proximalen Samenleiterstück noch Spermien befinden. Bis die letzten über Samenergüsse ausgetreten sind, dauert es etwa 2–3 Monate.

Die Sicherheit der Vasektomie kann Dr. med. Martin Petsch, Spezialist für Andrologie, Mikrochirurgie und Urologie in Düsseldorf, nur bestätigen. Denn deswegen ist für eine effektive Rekanalisierung ein erneuter Eingriff notwendig. Petsch zählt zu den internationalen Spezialisten, die europaweit die meisten Vasektomien rückgängig machen – bei circa 200 Männern pro Jahr. „Die Vorstellung einer erneuten Verbindung der durchtrennten Samenleiter mag daher rühren, dass wir regelmäßig einen sehr dünnen Gewebefaden zwischen den Enden finden“, erläutert Petsch. „Das hat jedoch mit einer echten Verbindung der Lumina nicht das Geringste zu tun.“ Diese stellt er wieder her, indem er die Enden der Samenleiter mikrochirurgisch verbindet (Vaso-Vasostomie). Jedoch nur, wenn während des Eingriffs erkennbar wird, dass das hodenseitige Ende durchlässig ist und Spermien beinhaltet. „Das ist bei den meisten und auch noch nach vielen Jahren der Fall“, betont Petsch. Ansonsten kann das körperseitige Ende auch direkt mit dem Nebenhoden verbunden werden (Vaso-Epididymostomie). Die Entscheidung lässt sich nur intraoperativ und für jede Seite individuell treffen. „Es kann also sein, dass ich auf der rechten Seite die Samenleiter anastomosiere, auf der linken aber die Alternative zur Rekanalisierung wähle“, so der Mikrochirurg.

In den USA, wo die Zahl der Vasektomien eher hoch ist, streben nur rund 6 % der vasektomierten Männer eine Rekanalisierung an (12). Ältere Studien nennen hier ebenfalls Zahlen zwischen 5 und 10 % (13). Die Angaben zu den Erfolgsraten – Schwangerschaftsraten nach Rückgängigmachung – reichen von 30–90 % in erfahrenen US-Zentren (14). Diese Diskrepanz erklärt sich damit, dass die Fertilität der Partnerin und das Alter des Paares mit zu berücksichtigen sind. Überprüfen lässt sich die Fertilität des Mannes mittels Spermiogramm, das Petsch meist nach 6 Monaten empfiehlt.

„Typischerweise“, so Petsch, „wünschen sich die Männer eine Rekanalisierung, weil sie nach einer Trennung mit einer neuen Partnerin noch Kinder wollen.“ In der Regel sind dann beide Partner eher älter als jünger. Andere Gründe sind zum Beispiel der Verlust eines Kindes.

Aktuellen Studien zufolge wünschen Männer ohne Nachwuchs den Eingriff nur selten: weniger als 5 % der Männer sind kinderlos. Auch sie tun dies meist wohlüberlegt und wollen den Eingriff kaum je wieder rückgängig machen lassen (15, 16). Das Alter ist offiziell kein Kriterium, jeder erwachsene Mann kann sich dafür entscheiden. Engl würde jedoch jüngere Männer unter 30 nicht vasektomieren wollen: „Die gesamte Lebensplanung kann sich in dieser Phase noch völlig verändern“, begründet er seine Zurückhaltung.

Motivation exakt ergründen

Für ebenso wichtig hält er, die Motivation der Patienten möglichst sensibel nachzufragen. So seien beispielsweise die Bedenken einer Partnerin gegenüber der hormonellen Verhütung eine zwar nachvollziehbare, aber nicht hinreichende Begründung. „Der Mann sollte sich nicht zur Operation drängen lassen, selbst wenn er verständlicherweise der Partnerin die Pille ersparen möchte“, warnt er. Bei allen Vorteilen in puncto Sicherheit und Verlässlichkeit bedeute die Vasektomie doch eine einschneidende Veränderung. Das bekräftigt auch Petsch für die Rekanalisierung: „Trotz der Erfolgsraten und der Komplikationsarmut, die wir heutzutage anbieten können“, hält er fest, „sollte es nicht als An- und Abschalten der Fertilität missverstanden werden.“

Bezug zum Prostatakarzinom

Zahlreiche Studien und Metaanalysen in den letzten Jahren belegen, dass das Risiko für die Diagnose „Prostatakarzinom“ bei Männern mit Vasektomie geringfügig erhöht ist, eine veränderte Mortalität lässt sich indes nicht nachweisen (17, 18, 19, 20, 21). Eine mögliche Erklärung für die gering erhöhte Inzidenz ist ein anderes, intensiveres Vorsorgeverhalten von Männern nach Vasektomie. Es könnte auch am Confounder Testosteron liegen: Sexuell aktivere Männer streben eher eine Vasektomie an, haben häufig höhere Testosteronspiegel – die ihrerseits Prostatakarzinome begünstigen (22). Die US-amerikanischen Leitlinien sehen infolgedessen keine Evidenz für ein höheres Prostatakarzinomrisiko bei Vasektomie und fordern daher keinerlei Aufklärung darüber. Die EAU-Leitlinien zum Prostatakarzinom betonen sogar, dass ein ätiologischer Zusammenhang widerlegt worden sei (23).

Aufklärungsbedürftig ist sowohl in Europa als auch den USA das sehr seltene Post-Vasektomie-Syndrom, das mit chronischen Hodenschmerzen verknüpft ist. Die Inzidenz wird auf 1–2 % beziffert (24). „Man kann es nicht wegdiskutieren, aber auch nicht erklären“, räumt Petsch ein. Wie sonst bei chronischen Schmerzen nach Operationen werden psychische oder somatische Ursachen diskutiert, etwa neuronale Missempfindungen oder Granulome in den Epididymiskanälchen. Ob eine Refertilisierung einen Benefit hat, ist umstritten. Es würde sich um einen Heilversuch ohne Gewähr handeln.

Nicht zuletzt hegen viele Laien die falsche Vorstellung, das Sexualleben könnte nach einer Vasektomie leiden. Dabei ist eher das Gegenteil richtig. Anders als bei der Orchidektomie handelt es sich nicht um eine Kastration: Die Produktion des für das sexuelle Begehren und Erleben wichtigen Hormons Testosteron wird nicht tangiert. Zudem leidet weder die Erektionsfähigkeit noch wird die Ejakulation beeinträchtigt. Denn 95 % des Ejakulates werden in der Prostata und den Vesiculae testiculares produziert, die eigentliche Spermienflüssigkeit macht nur einen kleinen Rest aus.

Bessere Sexualität nach der OP

„Wir haben das Sexualleben zusammen mit Kollegen an der Universitätsklinik in Frankfurt mithilfe verschiedener Fragebogen bei fast 300 Paaren evaluiert“, so Engl. Der Vergleich mit einer historischen Kohorte, die keinen solchen Eingriff hatte vornehmen lassen, ergab, dass weder die Paare über eine Verschlechterung ihres Sexuallebens klagten noch die Frauen für sich genommen. Bei den Männern verbesserte sich die Sexualität sogar (25). Dieses Fazit findet sich ebenfalls in zahlreichen internationalen Publikationen zu dieser Frage (26, 27, 28).

Fazit für die Praxis

  • Die Vasektomie ist eine sehr sichere Verhütungsmethode.
  • Die Komplikationsraten sind niedriger als bisher vermittelt.
  • In 1–2 % kann ein Post-Vasektomie-Syndrom auftreten.
  • Für einen kausalen Zusammenhang zum Prostatakarzinom gibt es keine Evidenz.
  • Das sexuelle Erleben ist nicht beeinträchtigt, vielmehr verbessert.

Dr. med. Martina Lenzen-Schulte

 

Quelle:

Dtsch Arztebl 2023; 120(29-30): A-1270 / B-1089

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